Zur Geschichte der Firma
Am Samstag dem 25. März 1893 öffneten sich zum ersten Mal die Pforten der „M. Westhoffschen Buchhandlung“. Das Geschäft befand sich damals am Grendplatz 8 in Steele.
Gründer der Firma war der „Buchhandelsgehülfe“ Melchior Friedrich Maria Westhoff.
Melchior wurde am 16. Januar 1864 als drittes und jüngstes Kind von Karl Westhoff und seiner Frau Maria Catharina Zurstrassen in Münster geboren. Sicher prägend war, dass Melchior Westhoff schon als kleines Kind seinen Vater verlor, der am 12. September 1866 verstarb. Seine Mutter heiratete nicht noch einmal. Vielmehr versuchte sie, die Bäckerei und die Branntweinbrennerei ihres Mannes allein weiter zu führen. Über Kindheit und Jugend von Melchior sind keine Details überliefert, allerdings wuchs er in dem Westhoffschen Familienverbund auf, dessen Vertreter in Münster kleine Gewerbetreibende, aber auch Verwaltungsmitarbeiter und Akademiker waren.
So liegt es nahe, dass auch Melchior sein eigenes Geschäft eröffnen wollte. Nach seiner Schulzeit arbeitete er bei der „Theissing´schen Buchhandlung“ in Münster, bei der Agentur von B. Herder in Straßburg, in Buchhandlungen in Schwäbisch-Gmünd und Bochum und zuletzt ab 1889 bei „J. & R. Temming“ in Bocholt und sammelte so genügend Erfahrungen um den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Er wählte den Standort in der aufstrebenden Ruhrregion in der Stadt Steele direkt neben der Rektorats– und Fortbildungsschule am Grendplatz 8. Seine Wohnung fand er im Februar 1893 nebenan am Grendplatz 9.
Ein halbes Jahr nach der Eröffnung der Buchhandlung heiratete Melchior Westhoff Maria Francisca Brigitta Schüring, die er in Bocholt kennengelernt hatte. Maria wurde am 9. Juni 1863 in Bocholt als Tochter eines Lohgerbers geboren und hatte acht Geschwister. Die Heirat fand am 1. August 1893 in Bocholt statt. Am 2. Juni 1894 kam ihr Sohn Carl Albert Maria zur Welt und am 7. Mai 1896 ihre Tochter Caroline.
Das Glück der jungen Familie sollte aber nicht lange währen, vielmehr wiederholte sich die traurige Geschichte, denn am 27. Dezember 1896 verstarb der Sohn Carl Albert und zwei Tage später der Vater Melchior Westhoff im Alter von 32 Jahren.
Nach dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes stand die Witwe Maria Westhoff allein mit einem kleinen Baby und einem Geschäft da. Sie musste für den Lebensunterhalt für sich und das Baby sorgen. Konnte das Geschäft weiter geführt werden? Maria Westhoff entschied sich dafür und fand Unterstützung durch ihre Familie. Ihre damals 22 Jahre alte Schwester Auguste Theodora („Dorchen“) Schüring (geb. am 29. August 1871) kam 1897 zu Hilfe.
Während das Geschäft durch die beiden Frauen weiter betrieben wurde, heiratete Dorchen am 27. September 1900 in Steele den „Reisenden“ Wilhelm Friedrich („Fritz“) Vollmer. Fritz Vollmer war ein Sohn des Kaufmanns Johann Jacob Vollmer und seiner Frau Maria Katharina Niefenthaler in Neuenweg im südlichen Schwarzwald. Im 19. Jahrhundert wurde es en vogue sich in Kutschen oder mit der Eisenbahn zu den Ausgangspunkten in der Natur bringen zu lassen und spazieren zu gehen. Also wurden auch erstmals für die Einkehr Gasthäuser benötigt. Im Schwarzwald sind viele Familien dadurch zu Wohlstand gekommen. Fritz´ Bruder Hermann blieb als Gastwirt „Zur Sonne“ in Neuenweg und verstarb dort am 15. November 1948. Möglicherweise hat er den Gasthof schon von seinen Eltern übernommen und die Familie war anscheinend wohlhabend.
Fritz wohnte ab 1895 in Lahr (Baden). Er arbeitete als reisender Kaufmann. Möglich wäre, dass Fritz als reisender Buchhändler oder Vertreter für Schreibwaren unterwegs war und so seine spätere Frau im Steele kennengelernt hat.
Die erste Tochter der Eheleute Elfriede Caroline Katharina Maria Vollmer wurde am 1. September 1901 in Bocholt geboren. Am 6. April 1902 kaufte Fritz Vollmer die Buchhandlung in Steele und erlernte das Buchhändlergeschäft bei seiner Schwägerin Maria Westhoff. Im gleichen Jahr wurde der Bau des Wohn- und Geschäftshauses Paßstraße 32 (damals: Nr. 6) geplant. 1903 wurde das Haus fertig gestellt und die Buchhandlung zog um.
Maria Westhoff zog zunächst auch in das Haus in der Paßstraße, später dann aber zusammen mit ihrer Tochter in ihr Elternhaus nach Bocholt, wo sie am 25. November 1908 verstarb. Das Schicksal von Caroline Westhoff nach 1908 konnten wir nicht klären.
Unter Fritz Vollmer gedieh das Geschäft. Schreibwaren, Musikalien und Bücher wurden erfolgreich angeboten. Trotz des ersten Weltkrieges, der nachfolgenden schweren Inflation, der Wirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit war das Einkommen der Familie ausreichend, um allen Kindern den schulgeldpflichtigen Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen .
Aus den 1910er und 1920er Jahren ist je eine Original-Rechnung erhalten, die uns eine Kundin vor vielen Jahren aus dem Nachlass ihres Großvaters freundlicherweise überlassen hat. Interessanterweise weist der Briefkopf der älteren Rechnung (1914) eine modernere Schrifttype auf als der der jüngeren Rechnung (1921).
Die beiden älteren Töchter Elfriede Caroline Katharina Maria (geb. 1901) und Maria Margarete Gisela (geb.1906) wurden Lehrerinnen. Elfriede blieb in Steele. Gisela arbeitete an einer Klosterschule im Rheinland.
Über Maria Anna Franziska (geb.1903) ist nichts bekannt.
Friedrich Albert Karl (geb. 1905) studierte in Hannover und wurde Diplom Ingenieur. Später lebte er in Steele.
Die beiden jüngeren Töchter Ruth Johanna Maria (geboren am 6. November 1909) und Carola Maria Brigitte (geboren am 16. Januar 1913) bestanden ebenfalls die Reifeprüfung und traten am 1. April 1928 und bzw. Ostern 1932 in das elterliche Geschäft ein. Beide erhielten damals als Lohn nach eigenen Angaben „Taschengeld“.
Ein Zeugnis über die 1930er Jahre findet sich in Gisbert Kranz' Buch: "Eine katholische Jugend im DrittenReich. Erinnerungen 1921 - 1947" (Herder Verlag, Freiburg 1990) - auf Seite 112:
"...Dem Rat meines alten Religionslehrers Heinrich Dresen folgend, der mir bei einem Besuch 1938 in meiner Wohnung in Steele gesagt hatte, ich müsse mir eine eigene Bibliothek aufbauen, kaufte ich eine Menge Bücher. Jahrelang war ich Stammkunde der Westhoffschen Buchhandlung in Steele an der Paßstraße. Ihr Inhaber, Herr Vollmer, war evangelisch, seine Töchter, die mich oft bedienten, katholisch. Hier kaufte ich unter anderem das Lexikon für Theologie und Kirche, eine mehrbändige Dogmatik, ..."
Anfang der 1940er Jahre kam es erneut zu einer familiären und geschäftsbedrohenden Krise. Am 4. Mai 1941 starb Fritz Vollmer im Alter von 68 Jahren. Wenige Monate später starb am 28. Dezember 1941 seine Ehefrau Dorchen und schließlich ihre älteste Tochter Elfriede am 13. Mai 1942. Zu diesem menschlichen Schicksal kam erneut das berufliche: Wie konnte die Buchhandlung weiter geführt werden? Zunächst wurde das Geschäft offiziell in den wenigen Monaten von der Mutter weitergeführt. In ihrem Testament wurde dann das Vermögen gerecht geteilt, wobei sie Ruth und Carola die Buchhandlung vermachte. Damit war die Weiterführung der Buchhandlung jedoch noch keineswegs gesichert.
Dorchens Testament (Stadtarchiv Essen)
Die nationalsozialistische Ideologie beschränkte und propagierte die Rolle einer Frau als die einer Hausfrau und Mutter mit möglichst vielen Kindern. Nicht zu heiraten und einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen war dagegen unerwünscht und wurde sanktioniert. Die Töchter von Fritz und Dorchen Vollmer waren aber – bis auf Maria, von der wir es nicht sicher wissen – unverheiratet und gingen Berufen nach.
Dazu kam, dass das NS-Regime nicht kirchenfreundlich war. Fritz Vollmer war evangelisch, seine Frau katholisch. Ihre Töchter wurden katholisch und wuchsen in einem christlich bürgerlich geprägten Elternhaus auf. Wie sehr auch Fritz dem katholischen Glauben zugeneigt war, ergibt sich aus einem ungewöhnlichen Vorgang anlässlich seiner Beerdingung. Sein Wunsch war nämlich, auf dem katholischen St. Laurentius-Friedhof beigesetzt zu werden. Die Bestattung erfolgte zunächst auf dem evanglischen Friedhof in Freisenbruch, dann wurde er aber „zum katholischen Friedhof am selben Tag später wieder abgeholt“.
Hinzu kam, dass die Familie sich bislang in keiner Weise mit dem NS-Regime verbunden gezeigt hatte. Fritz Vollmer war zumindest bis März 1937 (spätere Unterlagen sind nicht überliefert) weder Mitglied in der NSDAP oder einer Parteiorganisation. Er war seit 1934 zwangsläufig Mitglied in der Reichsschriftumskammer, die keine Parteiorganisaton war. Erst diese (Zwangs-)Mitgliedschaft gestattete es ihm, das Geschäft überhaupt unter dem NS-Regime betreiben zu dürfen.
Für die unverheirateten Töchter Ruth und Carola war daher die Übernahme des elterlichen Geschäftes problematisch.
Der Aktenvorgang zur Aufnahme in die Reichsschriftumskammer ist verloren. Gefragt wurde durch die Reichsschriftumskammer im Aufnahmeantrag jedoch immer nach Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer Parteiorganisation. Um dieser Schwierigkeit abzuhelfen, traten Ruth und Carola ab dem 1. Januar 1942 der NS-Volkswohlfahrt (NSV) bei. Darüber hinaus haben sie keine Ämter bei NS-Organisationen bekleidet und waren auch nicht in der NSDAP. Wir interpretieren, dass die Mitgliedschaft in einer NS-Organisation nicht aus Überzeugung, sondern zum Zweck der Übernahme des elterlichen Geschäftes erfolgte. Die Schwestern wurden von der Spruchkammer nach dem Krieg als „nicht belastet“ eingestuft.
Sorgenvoll wird von der Familie sicher auch der geforderte Ariernachweis betrachtet worden sein. Fritz Vollmer hatte in einem Fragebogen im Jahr 1937 angegeben, das nur väterlicherseits ein lückenloser Nachweis bis zum Jahr 1800 geführt werden könne, mütterlicherseits jedoch nicht. Er wertete den Nachweis als „Ja – zweifelhaft“.
Nach dem „Gesetz zum Schutze des Einzelhandels vom 12. Mai 1933“ mussten die Schwestern die Übernahme des Geschäftes beantragen und zwar in Form einer Ausnahmegenehmigung. Unter anderem waren Sachkunde, ausreichende finanzielle Mittel und eben die Mitgliedschaft in der Reichsschriftumskammer nachzuweisen.
Am 25. Mai 1942 wurden sie als Buchhändlerinnen unter der Nr. B II 27474 rückwirkend zum 1. Juli 1941 in die Reichsschriftumskammer aufgenommen. Nach Vorliegen dieses Bescheides wurde dann Ruth und Carola Vollmer am 29. Mai 1942 die staatliche Genehmigung zur Übernahme der Buch- und Schreibwarenhandlung erteilt.
Am 10. April 1945 war endete des Naziterrorregime in Steele. Wie lange die Buchhandlung schließen musste, ist nicht bekannt. Bereits am 21. Juli 1947 beantragte Ruth Vollmer dann schon wieder die Aufnahme der Geschäftes in das Adressbuch des deutschen Buchhandels für die Ausgabe des Jahre 1948.
Die Geschwister Vollmer
Nach dem Krieg heiratete Carola den aus Steele stammenden Heinrich Bast (geboren am 29. Oktober 1926). Das Testament von Dorchen Westhoff vom 24. Oktober 1941 sah für diesen Fall vor: „Sollte meine Tochter Carola heiraten, so muss sie zu Ruths Gunsten auf das Geschäft verzichten. Sollte Ruth sie bitten, bei ihr zu bleiben, so kann sie es tun, muss sich aber Ruths Anordnungen fügen.“
Offensichtlich war das Verhältnis der beiden Schwestern gut und blieb auch so nach der Heirat. Denn Ruth und Carola blieben beide in der Buchhandlung, die von Heinrich Bast geleitet wurde. 1937 betrug der Umsatz mit Büchern etwa 70%, der mit Schreibwaren etwa 30%. Nach dem Krieg wurde der Verkauf von Schreibwaren langsam zurückgefahren und Anfang der 1970er Jahre ganz eingestellt. Stattdessen wurden zunehmend Schulbücher vertrieben. Die Buchhandlung wurde erst auf zwei, dann auf drei Räume vergrößert.
Am 17. August 1975 verstarb Ruth Vollmer. Offiziell wurde Carola alleinige Inhaberin. Leider erkrankte Carola Bast dann jedoch schwer und wurde von ihrem Mann gepflegt, unterstützt von Schwester Gisela bis zu deren Tod in den neunziger Jahren. Carola Bast starb im Frühjahr 2000.
Für ihren Mann wurde die Pflege seiner Frau und die Tätigkeit als Buchhändler zu einer schweren Belastung. Er dachte schon frühzeitig an eine Geschäftsübergabe. Da Carola und Heinrich Bast kinderlos waren, musste eine andere Lösung gefunden werden.
Auch diese dritte Krise wurde glücklich gelöst. Der Vertrieb von Schulbüchern hatte so großen Umfang angenommen, dass, um Schulen zum Schuljahresbeginn zu beliefern, Studenten als Aushilfskräfte von Herrn Bast eingestellt werden mussten. Einer dieser Studenten war Reinhard Platzer. Er war 1954 geboren worden und stammte aus Steele. Nach dem Abitur am Carl-Humann-Gymnasium studierte er Germanistik. Reinhard Platzer kannte den Buchladen seit seiner Kindheit, arbeitete zunächst aushilfsweise als Student hier und ab 1979 fest angestellt.
Die M. Westhoff´sche Buchhandlung war immer schon mit Kunst verbunden. Bis zum zweiten Weltkrieg in Form von Kunsthandel und danach in anderer - wie sich zeigen sollte - relevanter Form. Heinrich Bast war nämlich sehr kunstinteressiert. Ein früher Freund der Familie war Rudolf Kober, viele Jahre Kunstlehrer am Carl-Humann-Gymnasium. Als "Auftragsarbeit" malte er eine Ansicht der Paßstraße mit Laurentiuskirche, die als Geschenk für die weggezogene Schwester Gisela gedacht war. Nach ihrem Tode in den 1990er Jahren, kam es wieder in die Hände von Carola und Heinrich Bast. Heute hängt es in der Buchhandlung.
Heinrich Bast war Sammler und Förderer insbesondere der klassischen Moderne. Besonders förderte er den Maler Frowalt Otto Häusler (1923 – 2007) aus Bad Säckingen. Zu einer Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstages des Malers im Jahr 2023 konnten mehrere, bis dahin unbekannte Bilder aus der Sammlung Bast, der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Reinhard Platzer war seit seiner Jugend begeisterter Fotograf. Ausdrucksstarke Bilder enstanden bei Reisen in die Bretagne und auf legendären Saharafahrten. Einige Saharafotos können noch heute in der Buchhandlung betrachtet werden. Nebenbei berichtet, 2004 wollte der „Leser“ unbedingt aus der Betragne mit nach Steele, wo er bis heute in der Buchhandlung eine Heimat hat.
Heinrich Bast und Reinhard Platzer waren Seelenverwandte und hatten in der Kunst eine gemeinsame Passion. Dass Heinrich Bast in Reinhard Platzer einen geeigneten Nachfolger sah und ihm die Übergabe der Buchhandlung anbot, kam nicht überraschend.
Am 1.Januar 1981 wechselte daher die Buchhandlung erneut den Inhaber, der erstmalig nicht aus dem familiären Umfeld kam. Sie wurde zur „Westhoffschen Buchhandlung Bast, Inhaber R. Platzer“. Anfang der achtziger Jahre betrieb Heinrich Bast noch eine kleine Galerie in den Räumen der Buchhandlung, setzte sich 1990 aber endgültig zur Ruhe. Er wohnte weiterhin in der Paßstraße 32 und begleitete die Westhoffsche Buchhandlung noch bis zu seinem Tod am 20. November 2006.
Reinhard Platzer heiratete im August 1981 Annemarie Sprave. Seitdem führten sie die Buchhandlung gemeinsam. Insbesondere der Verkauf von Schulbüchern wurde erheblich ausgebaut. Reinhard Platzer setzte auch technische Innovationen ein. Bücher wurden seit Gründung der Buchhandlung mittels Postkarten vom Grossisten oder Verlag besorgt. Das war ein zeitaufwendiger Prozeß, der seit der Einführung des Telefons in der Westhoffschen Buchhandlung (nach 1946 spätestens jedoch 1958) in vielen Fällen verkürzt werden konnte. Reinhard Platzer führte dann – beginnend mit dem Commodore C64 und zunächst selbst geschriebenen Programmen – den Computer in die Buchhandlung ein. Er gehörte zu den Pionieren am PC, jedoch dem Wandel im Buchhandel durch Internet und Großanbieter wollte er sich nicht mehr stellen.
2005 mit dem Eintrag ins Handelsregister wurde der Name in „Westhoffsche Buchhandlung Platzer e. K.“ geändert.
Der 100. Geburtstag der Buchhandlung wurde sehr ruhig gefeiert. Dafür gab es zum 111. die erste Lesung. Ralf Isau machte die Feier zu einem Erlebnis. Von da an gab es immer wieder mal Lesungen. Viele Autoren kamen, manche mehrmals, u.a. Salim Alafenisch, Adolf Winkelmann, Jens Dirksen, Michael Opoczynski, Regina Schmymiczek und Werner Brosmann mit den Autoren vom Verlag Henselowsky Boschmann. Und immer war (und ist) die Buchhandlung voll besetzt. Beliebt waren die arabischen Lesungen mit Nachbarin und Freundin Zahra aus dem „Morgenland“ nebenan. Neben der arabische Literatur in der Buchhandlung gab es in der Pause arabisches Buffet.
Am 23.Mai 2018 verstarb Reinhard Platzer nach schwerer Krankheit. Bis zuletzt stand er in seinem Geschäft und auch die Feier zum 125. Geburstag der Buchhandlung genoss er sehr.
Die Buchhandlung wird seitdem von Annemarie Platzer weitergeführt.
Als 2019 der langjährige Grossist Insolvenz anmeldete, war es an der Zeit, Veränderungen in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig mit dem Wechsel des Lieferanten wurde auch der Onlineshop der Buchhandlung eröffnet. Seitdem ist es möglich, rund um die Uhr Bücher auszusuchen und zu bestellen.
Im Januar 2020 tauchte ein neues Virus auf und damit eine neue Krise: Die Coronapandemie begann. Im März kam es zum ersten Lockdown: Alle Geschäfte außer den Lebensmittelläden mussten schließen. Zunächst war es noch nicht erlaubt, Bücher am Fenster zu verkaufen. Der Eingangsbereich musste daher als Schleuse dienen. Zahras „Morgenland“ nebenan durfte geöffnet bleiben, dort wurde zusätzlich ein Bücherregal aufgestellt. So war es möglich, bestellte Bücher abzuholen. Und natürlich wurden auch Bücher ausgeliefert: Lesestoff wurde dringend benötigt.
In dieser Zeit gab von den Leserinnen und Lesern viel Unterstützung und Zuwendung, das tat gut und minderte die Existenzangst.
Im Mai wurde wieder geöffnet. Masken, Abstandsregeln, Desinfektion gehörten zum Alltag.
(gen. Foto: T.Bolgehn)
Doch der Winter 2020/21 kam und mit ihm eine neue Infektionswelle. Am 14. Dezember folgte der zweite Lockdown - mitten im Weihnachtsgeschäft! Existenzangst und Angst vor Infektion hielten sich die Waage. Als abends geschlossen wurde, gab es Tränen. Aber alles war noch eingespielt. Nun war es auch möglich, bestellte Bücher durch das Bücherfenster der Buchhandlung zu reichen.Wie an der „Bude“ im Ruhrgebiet gab (und gibt) es am Fenster eine Klingel. Bücher wurden herausgereicht. Es gab das Bücherregal im Morgenland, den Onlineshop, die Lieferungen und das Bücherfenster. Diesmal dauerte der Lockdown bis März. Geblieben ist das Bücherfenster. Es hat sich als sehr praktisch erwiesen zum schnellen Abholen von Büchern, ganz besonders als "Drive-In" für Fahrradfahrer, Kinderwagen oder Rollatoren.
Mittlerweile ist Melchior Westhoff`s Buchhandlung die älteste bestehende Buchhandlung in Essen. Möge sie noch lange erhalten bleiben!
Wir danken H. Driehorst (Steeler Archiv), A. Hepprich (Steeler Archiv), T. Mietzner (Stadtarchiv Lahr), C.Staniek (Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig), B. Biester (Historische Kommission Börsenverein des Deutschen Buchhandels), und den Mitarbeitern des Stadtarchivs Essen, des Bundesarchivs in Berlin und des Sächsischen Landesarchivs in Dresden.
Annemarie Platzer
Olaf Hagemeyer